Loslassen… wie soll das gehen?

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Man muss auch loslassen können“, so heißt es immer wieder, wenn sich Dinge im Leben verändern. Bei Trennung, Scheidung, Tod, aber auch bei Umzug, oder wenn die Kinder größer werden und ihre eigenen Wege gehen, beim eigenen Älterwerden und Verabschieden nicht gelebter Träume und Bedürfnisse… bei allem, was uns eine Zeitlang begleitet hat. Das Leben ist Veränderung. Aber irgendwann… irgendwann kann man das nicht mehr hören, oder?
Auch wenn man zwei Hände frei haben soll, wenn man loslässt… diese Sprüche immer.
Loslassen soll aber der Heilige Gral, das Allzweckmittel, das Geheimrezept für ein glückliches Leben sein.

Aber wer sagt, was man „muss“? Und wofür sollten wir etwas müssen, das nicht wirklich aus uns selbst heraus entstehen will?

Ich bin ja mehr dafür, dass ich die Dinge in meinem Leben tun DARF. ;-) Ich darf sie aus freier Entscheidung tun. Sogar atmen. Oder schlafen. Ich kann mich dafür entscheiden, diese Dinge zu lassen. Lediglich die Konsequenzen müssen mir klar sein und ich muss damit leben können. Jede Entscheidung kann ich treffen, wenn ich bereit bin, die Konsequenzen dieser Entscheidung zu tragen. Das ist Selbstverantwortung. Verantwortung überhaupt. Etwas, das vielen Menschen derzeit abgeht.

Ich habe in meinem Leben vieles loslassen müssen, Du sicher auch.
Bei mir war es ein Vater, der nicht mehr bei seiner Familie leben wollte. Es war die Nähe meiner Schwester, die immer auf Reisen ging weil sie die Welt kennenlernen wollte. Ich habe aber auch Schwieriges losgelassen, die Beziehung zu einem (damals) geliebten Menschen der mir nicht mehr gut tat, und dies und das und vieles mehr.

Und das Loslassen geht immer weiter. In der eigenen Lebensmitte stelle ich fest, dass das Ziehenlassen des eigenen Kindes in seine eigene Welt mit ihren vielen Innenräumen und Außenräumen auch, weitere Kreise ziehen will.

Eine eigentlich als sehr eng empfundene Freundschaft musste ich Anfang 2021 loslassen, als die damalige Freundin sagte, dass sie sich nicht mehr mit mir treffen wolle, wenn ich weiterhin einen Mund-Nasen-Schutz tragen und mich impfen lassen würde. Kurios.

Durch die „Corona-Zeit“ mussten wir alle das Gefühl von Sicherheit loslassen. Von Unbeschwertheit, die einen mehr, die anderen weniger. Es hat uns alle gepackt, jeder Mensch jeden Alters hatte seine Herausforderungen mit den Konsequenzen dieser Pandemie zu bestehen. Wir mussten und müssen noch immer unser Bild von der gewohnten Welt wie sie „vorher“ war, loslassen. Weil sich gefühlt einfach alles irgendwie verändert hat.

Ich beschäftige mich also mit dem Thema Loslassen.

Und bei dem ganzen Loslassen kommt in mir das Bedürfnis auf, bewahren zu wollen. Bewahren dessen, was mir lieb und wichtig ist. Menschen, Freundschaften, Beziehungen, Erinnerungen (?)… was will ich eigentlich genau bewahren? Und, viel wichtiger, was kann ich bewahren?

Und da wird mir klar: Ich möchte das Gefühl von Zugehörigkeit zu Menschen bewahren, oder vielmehr das Gefühl von Verbundenheit mit Menschen die mir lieb und wichtig sind.

Aber kann ich das? Kann ich das steuern?

Shit. Ich glaube nicht. Ich kann meinen Teil beitragen, aber ich kann es nicht allein entscheiden oder steuern, ob Beziehungen (egal welcher Art) weiter bestehen bleiben oder nicht. Denn da ist immer noch die andere Person in der Gleichung, die ihre eigenen Bedürfnisse, Wünsche, Erwartungen etc. an die Freundschaft oder Beziehung hat.

Also muss ich auch das Bedürfnis nach Bewahrenwollen loslassen? Oooorrr es ist zum Auswachsen. ;-)

Loslassen wird dann zu einer anstrengenden Angelegenheit, wenn ich etwas nicht loslassen will. Oder wenn ich denke, dass ich es nicht kann.

Aber, hey, da kommt ein neuer Gedanke.
Wenn sich sowieso irgendwie immer dieser Gedanke ans Loslassen aufdrängt…und das Leben sowieso ständige Veränderung ist… dann…

Ja, dann was?

Dann gibt es eine Chance!

Die liegt in uns selbst! – Tja, wo auch sonst… ;-)

Wenn wir das Gefühl haben, dass sich vieles um uns herum oder in unserem Leben verändert, und wir so dastehen und feststellen, dass wir mal wieder „loslassen müssten“, dann gucken wir ja meist auf das, was wir da loslassen „sollten“. Wir sind aufs Außen fokussiert – und nicht auf uns selbst!

Geht es beispielsweise um einen Menschen, der sich aus unserem Alltagsleben oder unserem engen Umfeld verabschiedet, dann denken wir gewohnheitsmäßig an diesen Menschen, an gemeinsame Erlebnisse, Gespräche usw.. Dann kommt vielleicht Traurigkeit auf, Enttäuschung, Wut, was auch immer. Und wir denken: Ich muss loslassen.

Aber wenn wir uns gleich danach fragen: Wie soll das gehen? Wie funktioniert dieses Loslassen?
Dann habe ich meinen persönlichen Weg gefunden, den ich gern mit Euch, mit Dir teilen möchte.


Richte den Fokus von außen nach innen.
Auf Dich selbst, auf das, was Du bist. Wer Du bist, wie Du bist. Was Dich besonders macht. Darauf, dass Du immer noch da bist, dass Du wichtig bist für Deine Welt.

Kümmere Dich um Dich selbst. Sei Dir selbst der/ die Nächste. Fühle Dich wertvoll, einzigartig, unnachahmlich. Dein Wert bleibt immer bestehen, auch wenn Menschen oder Gefühle aus Deinem Leben gehen, oder wenn sie sich verändern.‘
Wenn Du das Gefühl hast, dass Du weniger Halt im Leben hast, besinne Dich auf die Dinge oder Menschen, die bleiben. Nimm Dich selbst in Deinen Fokus, bleib Du selbst in Deinem Radar. Du bist einzigartig, liebenswert, wunderbar.

Wenn Dir das gelingt, dann gelingt auch das Loslassen besser. Viel besser. Auch wenn Du vielleicht das Gefühl hast, dass da eine Lücke in Deinem Leben entstanden ist, bleib ruhig, bleib bei Dir, bleib in Dir. Und sei gespannt auf das, was da Neues in Dein Leben eintreten will.

Klar, Abschied und Veränderung brauchen erstmal ihre Zeit, im eigenen Innenraum wirklich verstanden und durchfühlt zu werden. Nimm Dir diese Zeit.
Und dann schau auf Dich selbst und nimm Dich wahr. Deine Eigenschaften, egal wie Du sie bewertest, denn diese Eigenschaften und die Kombination Deiner Eigenschaften macht und machen Dich einzigartig.

Atme tief durch:

Nimm Deinen ureigenen Atem bewusst wahr und mache Dir klar: Das bist Du. Deine Atmung begleitet Dich seit Du auf der Welt bist. Sie trägt Dich durchs Leben, ununterbrochen, egal wie es Dir geht.

Wenn Du Dich selbst wahrnimmst und den Fokus auf Dich lenkst, bist Du nicht mehr so stark im Gefühl von Loslassen verhaftet. Denn Du bist hier! Voll existent und mit einem Zweck Deines Daseins (den nur Du bestimmen kannst, ich empfehle hier  gern das Buch „Das Café am Rande der Welt“ von John Strelecky). Vor allem, wenn das Loslassen für Dich den unbeabsichtigten Verlust von etwas bedeutet.

Wie gesagt: Loslassen wird dann zu einer anstrengenden Angelegenheit, wenn Du etwas nicht loslassen willst. Oder wenn Du denkst, dass Du es nicht kannst.

Aber Du kannst Deinen Aufmerksamkeitsradar wieder auf Dich selbst richten. Dinge tun, die Dir gut tun, die Dir Freude machen. Menschen treffen, die Du gern hast, die Dich gern haben. Du kannst Deinen Fokus wieder auf das richten, was da auch noch in Deinem Leben ist. Möge es davon immer wieder etwas geben, mögen immer Menschen in Deinem Leben sein, mit denen Begegnung sich lohnt. Sei Dir selbst auch dieser Mensch.

Und dann… ja, dann wird Loslassen wie ein Teil von Ebbe und Flut. Wie ein Teil von Einatmen und Ausatmen. Loslassen, damit Dein Leben Platz bekommt. Lassen wir uns überraschen, was das Leben für Dich plant.

Ich wünsche Dir von Herzen einen guten, liebevollen und Deine Wichtigkeit anerkennenden Blick für Dich selbst.

Beratungskompetenz bei der Bundesagentur

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Dieser Artikel stand am 07.09.2014 auf Spiegel Online: Hochschule der Arbeitsagentur: Wir studieren Hartz IV

Krasimira Nevenova, Fotolia.com

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Beratungskompetenz bei den neuen Jobvermittlern?

Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht um ein Berufsförderungsprogramm für ALG-II-Empfänger, die dann nach erfolgreich abgelegter Prüfung einen passgenauen Arbeitsplatz bekommen.

Wir haben es hier mit einem neuen arbeitsagentur-eigenen Studiengang zu tun, der Menschen dazu befähigen soll, Menschen die arbeitslos sind, zu beraten und zu unterstützen. Das hört sich erst einmal gut an. Ob es auch gut wird, bleibt abzuwarten.

Was mich an diesem Artikel jedoch stutzig macht, ist das Beispiel der Maria Körner. „Sie will mit Menschen arbeiten, in einem Job, der wirklich zu ihr passt.“ Man möchte ihr wünschen dass das auch klappt. Aber das, was sie sagt, wollen alle. Einen Job der zu ihnen passt. Nun ist genau das auch mein Anliegen in Einzelcoachings, in denen Menschen sich beruflich neu orientieren möchten: Tätigkeitsfelder zu finden, die zu den Neigungen und Fähigkeiten, Interessen und Persönlichkeiten dieser Menschen passen.

In meiner Beratungstätigkeit berate ich immer wieder auch Angestellte der Arbeitsagenturen und der Jobcenter, die aufgrund der dortigen Arbeitsbedingungen erschöpft sind, ausgebrannt, von Konflikten mit Vorgesetzen und nichtführenden Führungskräften schwer in ihrem Selbstvertrauen geknickt sind, und nun ihre entstandenen Angststörungen und Depressionen behandeln lassen. Was ist also innerhalb der Bundesagentur für Arbeit los?

Die Vermittler haben heute und in Zukunft eine große Verantwortung. Sie müss(t)en jeden einzelnen Menschen in eine Stelle oder eine Weiterbildung („Maßnahme“) vermitteln, damit die Menschen wieder Perspektiven haben – und damit die Arbeitslosenzahlen sinken.
Und haben bald selbst keine Perspektive mehr.

Sie haben einen ganz konkreten Vermittlungsdruck, in Zahlen. Dem halten immer weniger Angestellte der BA stand. Wie soll das auch gehen, wenn da ein „Kunde“ weinend am Beratungstisch zusammenbricht, weil er vor der menschenverachtenden Kündigung nicht nur jahrelang gemobbt wurde, sein Selbstvertrauen am Boden zerstört ist, er aber eine fünfköpfige Familie zu ernähren hat und sein Haus nicht mehr abbezahlen kann? Solche Menschen (und, lieber Spiegel-Online, nicht „Fälle“ – jeder von Ihnen kann jederzeit auch solch ein „Fall“ werden) brauchen Zeit, Selbstkompetenz und ein Gegenüber, das nicht selbst auch noch unter extremem Leistungsdruck steht. Doch wird vielerorts in unserer schönen Republik erlebt, dass diese Zeit nicht da ist. Kein Platz für Leben, für die Schwierigkeiten des Alltags, nur für die Zahlen. Wer nur Zahlen im Kopf hat, kann nicht gut und qualitativ wertvoll beraten.

Ja, es ist schwieriger und erfordert mehr von einem als Berater, wenn ein Klient nicht mehr weiter weiß. Wenn er Emotionen zeigt und loswerden will, was ihn belastet, weil es einfach dazu gehört, zu erklären, wie alles gekommen ist, und warum es so schwierig ist, sich mit einer Depression selbstbewusst zu bewerben und zu präsentieren. Aber wenn diese Dinge nicht „mitgenommen“ werden in die Beratung der Arbeitsvermittlung, wird niemand als Berater erfolgreich sein. Und die „Kunden“ können nicht vermittelt werden. Die Widerstände werden größer, und der Auftrag der Arbeitsvermittlung endet in Enttäuschung und Frust. Auf beiden Seiten.

Ein extra Studiengang für angehende ArbeitsvermittlerInnen ist also sicher ein guter Ansatz. Ich hoffe nur, dass auch die sozialen, emotionalen und psychologischen Kompetenzen, also die Kompetenzen des Mensch-Seins, in diesen Studiengang einbezogen und bei den Teilnehmenden entsprechend geschult werden – praxisnah.

Wer keine Selbstkompetenz hat, dem fehlt grundlegende Beratungskompetenz. Es ist wichtig, zu sich selbst einen guten Kontakt zu haben, damit man einen guten Kontakt zum Klienten aufbauen kann. Dieser gute Kontakt ist die allerwichtigste Voraussetzung für eine gelungene Beratung, das gilt auch für jedes einzelne Gespräch der ArbeitsvermittlerInnen. Beraten ist nicht einfach nur Informationsweitergabe. Es ist Beziehungsgestaltung. Dazu gehört eine gute Beziehung zu sich selbst. Und dann die Fähigkeit, eine Beziehung im Sinne einer guten Gesprächsgrundlage zum Klienten aufzubauen. Authentisch, wertschätzend, und inhaltlich kompetent. Das will gelernt sein. Und dazu braucht es Menschen, die nicht einfach nur „helfen“ wollen, sondern die sich selbst weiterentwickeln wollen. Denn Beratung macht immer etwas mit einem selbst. Mit der Persönlichkeit, den Fähigkeiten, der Selbstkompetenz.

Aus meiner Sicht sollten die Gelder nicht (nur) in einen Studiengang fließen, sondern in selbstkompetente Führungskräfte bei den Jobcentern, in Supervision für die Arbeitsvermittler und Teams vor Ort, damit all die schwierigen Situationen mit denen Menschen dorthin kommen, sinnvoll reflektiert und lösungsorientiert angegangen werden können.

Möge es Maria Körner gelingen. Sie darf gut aufpassen. wenn sie ihrem Wunsch „Menschen zu helfen“, irgendwann als frischgebackene motivierte Jobvermittlerin nachkommt. Damit sie nicht trotz dieses vorbereitenden Studienganges in dieselben Mühlen gerät und krank wird, wie schon viele vor ihr. Denn ein Studiengang mag zwar das Image einer Agentur nach außen aufpolieren, aber vor allem braucht es wertschätzende Strukturen, die den Menschen, die dort b

eraten und vermitteln sollen, eine erfolgreiche Vermittlungsarbeit überhaupt ermöglichen.

Barbara Hoffmann
Systemischer Coach, Beraterin